Thomas Behling

Ich bin schlecht, aber ich wäre noch viel schlechter, wenn ich nicht wüsste, dass ich schlecht bin

Detlef Stein, 2008

Wie aus der „guten alten Zeit“ unserer Groß- und Urgroßeltern stammend, muten manche Motive an, die Thomas Behling in den letzten Jahren geschaffen hat und die er während unseres Ateliergesprächs nach und nach aus einem Bananenkarton holt. Hinter verstaubten, gelegentlich stumpfen Glasscheiben, eingefasst von alten Rahmen, sehe ich Motive aus dem „Damals“, in dem – so pflegt man zu sagen – alles viel besser gewesen sei. Eine genauere Ansicht der betreffenden Bilder erweckt jedoch Zweifel, denn die Idylle weist subtile Brüche auf. Behling spielt mit der anheimelnden Stimmung und dem hohen Wiedererkennungswert alter Bilder, verändert diese jedoch auf irritierende Weise.

Tatsächlich stammen viele vom Künstler benutzte Materialien von Flohmärkten und so stellt sich bei der Betrachtung das Gefühl ein, als wäre man auf einen Bilderfundus gestoßen, der vor langer Zeit einmal eine Wohnstube verziert haben könnte. Thomas Behling belebt vergilbte Fotos, alte Drucke oder Andachtsbilder, indem er künstlerische Eingriffe an ihnen vornimmt und sie zu seinem künstlerischen Material macht. Der nicht zu leugnenden Aura dieser gealterten Bilder steht das jugendlich-verschmitzte Lächeln des Künstlers gegenüber, der 1979 in Hannover geboren wurde und vor zwei Jahren seinen Meisterschülerabschluss an der Hochschule der Künste in Bremen gemacht hat.

Eine der betreffenden Arbeiten aus dem Jahr 2008 hat den Titel „Christus anklopfend“. Das Motiv, das den überraschend an der Haustür erscheinenden Christus zeigt, war im vorletzten Jahrhundert ausgesprochen beliebt und als Druck stark verbreitet. Zwar handelt es sich bei Behlings Arbeit tatsächlich um einen alten Druck vom Trödelmarkt und der dargestellte Christus erscheint, wie auf entsprechenden Drucken üblich, mit Hirtenstab im weißen Gewand bei Mondenschein an einer Haustür, aber durch Behlings künstlerischen Eingriff verwandelt sich das Motiv in eine befremdliche Szenerie. Mit Schmirgelpapier wurde behutsam der Rumpf der Christus-Figur vom Papier gerieben und auf diesem Wege eine Art Leerstelle auf dem Papier erzeugt; lediglich der Kopf, die klopfende Hand und die Füße sind in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben. Die so entstandene Aussparung hat den Effekt, dass Christus wie eingesponnen in einen Kokon erscheint und damit der Szene ein irritierender Charakter verliehen wird. Überraschend ist nun nicht mehr, dass Christus an der Haustür, sondern wie er dort erscheint.

Anekdoten vom Trödelmarkt oder kleine Geschichten aus dem Atelieralltag bereichern unser Gespräch, werden jedoch immer wieder von Behlings Reflexionen über den Charakter seiner Arbeit oder auch durch Hinweise auf seine kunstgeschichtlichen Bezugspersonen abgelöst. Aber auch ohne die Erläuterungen des Künstlers vermittelt sich die ironische Brechung seiner Arbeiten. Das in diesem Jahr entstandene „Erscheinungswölkchen“ (2008) etwa spielt unmissverständlich auf die Landschaftsmalerei des Romantikers Caspar David Friedrich an. Die vor einer dezenten Abendröte in den Bildraum ragenden Nadelbäume erinnern an diverse Gemälde des Dresdners, dessen Landschaftsgemälde als Ausdruck von Naturfrömmigkeit gedeutet werden und in denen die religiösen Empfindungen des Malers vor und in der Natur nachvollziehbar werden. Ist bei Friedrich die Landschaft also ein Ort besonderer Erfahrungen, so werden wir in Thomas Behlings Bild Augenzeugen eines „Erscheinungswölkchens“ am Himmel. In einer eigentümlichen Nähe zu vergleichbaren Motiven der Malereigeschichte, zu Comic-Zeichnungen, aber auch in Korrespondenz mit dem „wolkigen“ Kokon des anklopfenden Christus schafft es Behling, die von ihm benannte Ambivalenz von Erhabenheit und Lächerlichkeit ins Bild setzen.

In anderen Arbeiten bezieht sich Thomas Behling auf ein künstlerisches Verfahren, das beispielsweise Marcel Duchamp praktiziert hat: die Übermalung von Bildvorlagen und die daraus resultierende Möglichkeit, deren eigentlichen Charakter durch den vollzogenen Eingriff zu verändern. 1919 hatte Duchamp einen Chromdruck mit dem Motiv der Mona Lisa in der Weise verändert, dass er das lächelnde Gesicht um „Schnauz und Bärtchen“ (Duchamp) ergänzte und somit das berühmte Gesicht der Gioconda in ein Männergesicht verwandelte (L.H.O.O.Q.). Auch Max Ernst hat zeitgleich Bildmotive umdefiniert, als er auf der Grundlage einer Seite eines Lehrmittel-Katalogs das Bild „Das Schlafzimmer des Meisters“ schuf.

Thomas Behlings „im Paradies“ von 2005 ist auf der Grundlage eines sog. Lichteffektdrucks entstanden. Dieser zeigt einen unter rankendem Blattwerk am Flussufer stehenden Reiher inmitten einer idyllischen Landschaft. Durch das Hinzufügen einer kauernden menschlichen Figur wird das Motiv in eine unerwartete Begegnung zwischen Mensch und Tier gewendet. Was als Paradiesvorstellung eigentlich deren selbstverständliche und ungezwungene Begegnung schildern müsste, wird so zu einer Begegnung zweier unbekannter Arten.

Beim Betrachten seiner Bilder schmunzelt Thomas Behling. Ihn interessiere, so erzählt er mir, der schmale Grad zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen. Keineswegs wolle er Themen wie Religion, Spiritualität oder das Verhältnis des Menschen zur Natur ins Lächerliche ziehen. Im Gegenteil. Behlings Arbeit ist der Versuch, verschiedene Bereiche der menschlichen Existenz zu thematisieren, ohne dabei eine Sprache zu sprechen, die ihm verbraucht erscheint und ohne dabei in ein Pathos zu verfallen. Wie gut ihm dies gelingt, zeigt die Arbeit „der kleine Junge hat Angst vorm Schwarzen Mann“ von 2007, die er, wie er geheimnisvoll ankündigt, erst anstellen müsse.

Hier wurde zunächst eine Bildvorlage, die ohne weiteres kitschig genannt werden kann, motivisch abgeändert. Ursprünglich zeigt das Bild einen kleinen, verängstigt blickenden Jungen an der Seite seiner etwas größeren Schwester, der auf seinem Nachhauseweg nur noch einen wenig vertrauenserregenden Holzsteg zu überqueren hat, um sich vor einem Unwetter in Sicherheit zu bringen. Hinter den beiden breitet, von den Kindern ungesehen, ein Engel schützend seine Arme aus. Thomas Behling hat das Motiv nicht nur dadurch verändert, dass er einen „Schwarzen Mann“ mit drohender Pose ins Bild malte, sondern darüber hinaus eine technische Vorrichtung geschaffen hat, die – hinter das Bild montiert – sowohl „echte“ Blitze aufleuchten, wie auch den dazugehörigen Donner erklingen lässt. Die im Kinderreim gestellte Frage „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ findet hier in der Vermischung von Erbauungsbild und King-Kong-Figur eine höchst eigenwillige Antwort.

Zwischen Nostalgie, Kitsch und – wie beim letzten Bildbeispiel – „bad taste“, aber auch den Vorbildern der Kunstgeschichte spielt sich die Arbeit des Künstlers Thomas Behling ab. Auch wenn er gelegentlich ein geradezu akademisch zu nennendes Potential als Maler verrät (siehe „Schwellenmann“ von 2008), sind es die reduzierten künstlerischen Mittel, die Reize der zahlreichen kleinen, unscheinbaren Formate und der geistreiche Hintersinn, die zu überzeugen vermögen.

Detlef Stein

Erschienen in „Wenn Du noch Mut hast, so danke Gott und sei zufrieden.“, 2008