Thomas Behling

Pathos verändert seine Schwere kaum merklich aber fortwährend

Norbert Bauer: Rede zur Eröffnung der Ausstellung, Galerie JetztamDellplatz, Duisburg, 31. August 2012

 

Schon in den früheren Arbeiten von Thomas Behling fällt ein Aspekt besonders auf: In den oft kleinformatigen Bildobjekten wimmelt es von Wesen und Gestalten, die scheinbar nur mühsam Form annehmen und sichtbar werden. Engel, Schwarze Männer, fliegende oder stürzende Figuren erscheinen als Silhouetten, als vage Schatten, wie zum Beispiel in Rotenfels (2009). Irisierende Wölkchen schweben über Tannenspitzen (Großes Erscheinungswölkchen II, 2012) oder manifestieren sich zwischen Jesus’ Händen, wie ein im Entstehen begriffenes kleines Wunder. Sie sind Zentrum und zugleich Leerstelle der Motive und verändern so den Charakter der übrigen Bildbestandteile. Goldene Heiligenscheine werden zu eigenständigen, von der Figur gelösten Formen und ein gottesfürchtiges Mädchen zur angsteinflößenden Bedrohung, wenn sie nicht, wie von solchen Darstellungen gewohnt, dankbar zur Mutter oder zum zukünftigen Ehemann aufschaut, sondern dem „Schwarzen Mann“, der stattdessen neben ihr Platz genommen hat, selig lächelnd das Herz auspresst. Viele dieser Figuren und Wesen strahlen etwas Melancholisches aus - und sie sind auf eigentümliche Weise glaubwürdig. Denn die Darstellungsweise bricht mit vertrauten Konventionen des religiösen oder weltlichen Kitsches und verleiht dadurch bekannten Figuren, Motiven und Konstellationen eine neue Vitalität.

 

Dabei wendet Thomas Behling unterschiedliche Methoden an. Zum einen nimmt er die süßlichen Motive und trivialen Arrangements, welche die immer gleichen Inhalte - Glaube, Liebe, Hoffnung, Familie, Trost - umspielen beim Wort, und lässt zum Beispiel den Auslöser der Angst der vom Schutzengel behüteten Kinder sichtbar werden – ein zotteliges, schwarzes Monstrum, begleitet von Blitz und Donner (Der kleine Junge hat Angst vorm schwarzen Mann, 2007). Zum anderen - und das ist der für seine Arbeit weitaus wesentlichere Aspekt – ergänzt oder verändert er die vertraut wirkenden Motive nicht nur, um Brüche in der Konvention zu erzeugen, sondern arbeitet auf subtile Weise mit ihrem Charakter, also der Patina und Nostalgie, die den Inhalten ebenso wie den verwendeten Gegenständen anhaften. Seine Arbeitsweise schließt dabei mit ein, dass er diese Charakteristika des Vergangenen auch selbst hinzufügt oder übersteigert, wenn er gefundene Bilderrahmen, Fotografien und Kunstdrucke mit anderen Materialien und Medien kombiniert und zu neuen Bildobjekten zusammenfügt, die weder alt noch echt sind, aber nachhaltig den Anschein erwecken beides zu sein.

 

Es geht also nicht um etwas, dass den gefundenen Bildern und Objekten, die als Ausgangspunkt dienen, ursächlich eigen ist, sondern um etwas, dass mit ihnen verbunden wird. Denn Erinnerungen oder nostalgische Gefühle werden im Dialog mit Bildern oder Gegenständen konstruiert. Der auf Romantik, Biedermeier und Realismus fußende Kitsch des vergangenen und vorvergangenen Jahrhunderts, auf dem viele von Thomas Behlings Arbeiten wesentlich aufbauen, verband eine naiv-pathetische Weltsicht mit schlichten Hoffnungen und Botschaften und konzentrierte diese in einem trivialen Motiv- und Formelkanon. Das die Überbleibsel dieser Zeit - ebenso wie beispielsweise das Kitschrepertoire der fünfziger Jahre - durchaus das Zeug haben nostalgische Gefühle zu erzeugen, liegt darin begründet, dass ihnen noch immer etwas von der Unschuld inne zu wohnen scheint, die diese Zeiten - wieder besseres Wissen - für sich beansprucht haben. Die auratisch-nostalgische Ausstrahlung, die heute daran wahrgenommen werden will, ist also imaginierte Erinnerung an ein „besseres Früher“, das es so nie gegeben hat, sondern das auch damals schon – als „Früher“ noch Gegenwart war - nur die Maskierung einer unwillkommen komplexen und alles andere als heilen Gegenwart war.

 

Thomas Behling nimmt diese Aspekte der Täuschung und Erfindung auf und arbeitet damit. Der schöne Schein der Kitschmotive wird überspitzt, gebrochen und manchmal auch entlarvt - aber letzteres niemals denunziatorisch oder überheblich, sondern um die Funktionsweise der Illusion zu verdeutlichen – und mit dem Ergebnis, dass hinter dem einen schlichten Weltbild ein weiteres, ebenso vereinfachendes Modell der Welt zum Vorschein kommt: Bootsfahrt (2011) zeigt zunächst ein naives Motiv. Der vom Engel behütete Junge greift sorglos ins Wasser. Das Bild ist ausgeblichen, die Glasscheibe gesprungen, das Arrangement erscheint wie ein Fundstück von vorgestern. Unten im Wasser leuchtet allerdings das Wörtchen „SEX“ auf. Die Geschlossenheit der trivialen Darstellung und der Eindruck eines historischen Fundstücks werden mit einem Element konfrontiert, das an einen ganz anderen – aber nicht weniger trivialen und im Wortsinne vulgären – Kontext erinnert: eine Peep-Show Leuchtschrift. Der scheinbar spielerisch-unambitionierte Griff ins Wasser wird so zur gefährlichen Annäherung an jenseits der Kindheit lauernde Verheißungen - vor denen der gute Engel das Kindlein so lange wie möglich bewahren möge. Bei noch eingehenderer Betrachtung des gesamten Objekts wird aber deutlich, dass auch die versuchte Aufwertung des naiven Motivs mit durchschaubar schlichten Reizen – Sex – nur der Aufrechterhaltung einer Illusion dient. Denn hinter Kitsch und Sex zeigt sich durch die Schlitze in den Seiten des Kastens ein Wirrwarr von Drähten und Geräten – viel mehr Technik als für das Leuchten der Schrift im Bild nötig wäre. Dort laufen Prozesse ab, die sich nicht erschließen, aber wir könnten mutmaßen, dass sie entweder nötig sind um den schönen Schein der Vorderseite zu erzeugen - oder dieser Schein eben nur der Verschleierung der tatsächlich hinter der sichtbaren Welt wirkenden Kräfte dient. Dieser Anblick einer entzauberten Welt ist aber auch nicht erfreulich. Die Arbeit vereint also - durchaus dialektisch- die Demaskierung des Verblendungszusammenhangs mit der Erfahrung der Desillusionierung beim Blick auf das, was hinter dem Schleier liegt.

 

An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, wie entscheidend es ist Thomas Behlings Arbeiten als Bild-Objekte zu verstehen. Denn anders als Kitschprodukte, die nur zeigen was sie meinen, als Gegenstände aber auch einen völligen Bedeutungswandel erfahren können - zum Beispiel durch Veränderung ihres Kontextes von der urgroßelterlichen Devotionalienwand zur Szenekneipendekoration - liegt das Wesentliche von Behlings Arbeiten nicht zuerst in dem, was sie vordergründig – also bildlich – zeigen, sondern im Zusammenspiel der unterschiedlichen Zeit-, Material- und Bedeutungsebenen. Sie wollen im wörtlichen und übertragenen Sinne von allen Seiten betrachtet und wahrgenommen werden. Gefundene und selbst gebaute Rahmen und Kästen sind integrale Bestandteile der Objekte. Dazu kommen zunehmend elektronische Einbauten, Beleuchtungen und Sounds. Bilder und Rahmen werden gekrönt durch Miniaturlandschaften, wie beispielsweise bei dem bereits erwähnten Erscheinungswölkchen oder einer Arbeit von 2010, Nebel, in der zum wiederholten Mal Caspar David Friedrich zitiert wird. Aus der Kombination verschiedener alltäglicher Materialien – Modelleisenbahnfichten, Pommesgabeln, Plastiktotenköpfen – und großen Mengen Modelierpaste entstehen seltsame, an christliche oder andere Ritual- oder Kultgegenstände erinnernde Objekte, die den Blick auf dass Bild teilweise verdecken und beschneiden und so den Betrachter auffordern seinen Standpunkt zu verändern. Ebenso erinnern diese Arbeiten mitunter an Souvenirs, an kleine Miniaturlandschaften mit Spruchbändern und applizierten Bildansichten, wie zum Beispiel The End von 2011: Im Zentrum eines ovalen, schroff-felsklippenartigen Objekts öffnet sich eine „Grotte“. An deren Ende sehen wir die Abbildung einer weiteren Felsklippe, umrankt von einem Spruchband mit der Aufschrift „The End“ – von was auch immer.

 

Der „skulpturale“ Anteil scheint in den Arbeiten Thomas Behlings zunehmend in den Vordergrund zu treten und damit erweitern sich auch die Assoziationsspielräume, die sie eröffnen. Die Rahmung von Der Sprung (2012) mutet wie eine Schnitzarbeit aus Holz oder Knochen an, gleichzeitig erinnert die Form an eine Monstranz. Im Bildobjekt Struktur Total (2011) sind Bild, Rahmen und Passepartout gleichmäßig mit Strukturpaste überzogen, ein Verweis auf Konzepte der konkreten Kunst, die das Bild als Objekt und die Materialität der Farbe als Bildgegenstand definierten und gleichzeitig darauf, das auch Kunstwerke und -Konzepte nicht davor gefeit sind in Konvention und Tradition zu erstarren.

Das Herausbilden von Formelhaftigkeit, Tradition und Nostalgie und der damit mitunter einher gehende Verlust künstlerischer Vitalität, scheint auch Thema einer weiteren Arbeit zu sein, auf die ich zum Schluß noch eingehen möchte: Der Traum (2011/2012) zeigt in einem massiven, viel zu dick und schwer erscheinenden Rahmen das Bild eines Greifvogels, Palmen und Berggipfel im Dunst. Das zitierte Motiv von Tommy Krippner war in den Achtziger Jahren populär als WG-Poster, gerahmt durch einen fünfzackigen Stern in einem roten Kreis vor schwarzem Grund und versehen mit dem Spruch „Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen“. Das Arrangement wird begleitet durch eine Tonspur mit verzerrten Fragmenten von Ton Steine Scherbens „Der Traum ist aus“. Das scheint für den Moment hierzulande tatsächlich so, und was bleibt sind verschwommene Erinnerungen und linksrevolutionärer Kitsch. Das politische Kunst zwangsläufig sowieso den Kürzen gegenüber Realität und Gewöhnung zieht, hat Thomas Behling in einer anderen Arbeit verdeutlicht, die in seiner letzten Ausstellung in der Galerie JetztamDellplatz zu sehen war: Über einem riesigen, grausigen Berg toter Soldaten strahlt ein friedlicher, gülden-hellblauer Himmel, von dem die letzten Wolken gerade durch ein laues Lüftchen vertrieben werden. Schöner Himmel heißt dieses Bild von 2009 lapidar und offenbart die ganze Hilflosigkeit engagierter Kunst.


Der schwere Rahmen von Der Traum und die Soundfragmente dagegen scheinen die zeitliche, politische und popkulturelle Distanz zum zitierten Motiv unterstreichen zu wollen. Und damit komme ich zum Titel der Ausstellung: Pathos verändert seine Schwere kaum merklich aber fortwährend. Im Falle von Der Traum scheint „die Schwere“ des Pathos eindeutig zuzunehmen, sehr zu ungunsten der einstmaligen Vitalität der betreffenden Subkultur und ihrer Ästhetik. Aber es schwingt auch ein wenig Melancholie mit, ein Bedauern, was da an theoretischen, praktischen und ästhetischen Ideen und Werken verloren gegangen ist. Denn wie in seinen Aktualisierungen von religiösem und weltlichem Kitsch aus der kulturindustriellen Massenproduktion des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, nimmt Thomas Behling auch die Motive der jüngeren Kunst- und Kulturgeschichte und besonders die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Bedürfnisse durchaus ernst – bei allem kritischen Bewusstsein und vor allem Humor, mit dem er ihnen begegnet und sie verwendet. Und darin liegt nur eine der besonderen Qualitäten seiner Arbeiten.

 

Norbert Bauer