Thomas Behling

Rahmenbedingungen. Zu Thomas Behlings jüngsten Arbeiten

Dr. Heinz Stahlhut, Katalogtext in "Rahmenbedingungen", erschienen anläßlich der Ausstellung "Pathos macht wieder Spaß" in der Städtischen Galerie Lehrte (24.4. – 5. Juli 2015)

Liebhaber alter und ausgearbeiteter Rahmen werden an den Werken Thomas Behlings ihre helle Freude haben. Immer wieder verwendet der Künstler für seine eher kleinformatigen Arbeiten originale Rahmen, die meist Spuren von Alterung und Gebrauch tragen. Beispiele aus dem jüngsten Schaffen sind "Schlimmer Finger" oder das Buchobjekt "Aus fernen Welten". Auch bei "Kling Klang Gloria!" und "Hannelore verbrennt so gerne Kohle" lässt sich die Verwendung gebrauchter Rahmen zumindest vermuten. Die Vorliebe Behlings für diese Rahmen hat mehrere Gründe. Denn diese Rahmen vermitteln nicht allein den gout oder eher den Mief der häufig (klein)bürgerlichen Sphäre des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts, denen die Motive der von den Rahmen umschlossenen Bilder entstammen: Ludwig Richters Holzschnitt Kling Klang Gloria entstand als Illustration zu einem Kinderlied in der Epoche des Biedermeier, das sich unter der Knute der Metternichschen Restauration und nach der gescheiterten Revolution von 1848 gleichermassen unpolitisch gab und mächtig deutschtümelte. "Schlimmer Finger" hingegen geht auf die schwülstige Vorliebe der von Beschleunigung, Wirtschaftskrisen und sozialen Konflikten geschüttelten Gründerzeit für das vermeintlich so lebensfrohe und libertäre Rokoko zurück. Das stoffeingebundene Buchobjekt "Aus fernen Welten" schliesslich verbindet die behäbige Bibliophilie bürgerlicher Salons mit den aggressiven, gar über Mutter Erde hinaus reichenden Grossmachtphantasien der Wilhelminischen Epoche.

Wenngleich dem aufmerksamen Betrachter schwerlich entgehen wird, dass das von Behling entdeckte Bildmaterial überarbeitet ist, entsteht durch die Verwendung historischer Rahmen eine (wenn auch nur vermeintliche) Authentizität der Darstellungen in seinen Werken. So kollidieren in der vermeintlichen Einheit des Werks auf fruchtbare Weise die künstlerischen Eingriffe Behlings mit den ursprünglichen Bildinhalten: Aus der empfindsamen Rokoko-Dame wird durch die Ersetzung ihres Kopfes mit einem Daumen ein monströses Wesen, dessen bösartiger Charakter durch den derben Titel unterstrichen wird. In der Bilderbuchwelt Ludwig Richters scheinen sich giftig farbige Schlangen zu winden, die man vielleicht als Hinweis darauf lesen darf, dass der auch heute noch virulente Wunsch des deutschen Michel nach einer behaglichen Welt aus Eichen und Fachwerkhäusern das Schlangennest von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit mit hervorbrachte.

Überhaupt sind viele von Behlings Werken geistvolle Kommentare zur deutschen Geschichte und zur – wenn auch dort am stärksten gepflegten, so doch allgemein menschlichen – bürgerlichen Neigung zu Triebaufschub und -verzicht: In "Endlich Frieden mit der deutschen Geschichte" ist die halbkreisförmige Ansammlung von Briefmarken mit dem Porträt des GröFaZ Adolf Hitler in verschiedenen Farben zum Regenbogen gestaltet, der seit der alttestamentlichen Erzählung von der Sintflut als universelles Friedenssymbol gilt. Dass diese perfekte Form allerdings nur durch die Einfügung einer gefälschten Marke zustande kam, lässt diesen Frieden als auf äusserst tönernen Füssen stehend erscheinen.
Die aus Hartfaserplatten gefügte Box, in der – wiederum in einem historischen Rahmen – die Darstellung von Flamencotänzern als spiessbürgerliches Traumbild feuriger Erotik zu sehen ist, erhält durch den Titel "Wenn ich gross bin, wird das Leben aufregend und spannend!" just jene Note von Aufschub vitaler Neigungen und Bedürfnisse zugunsten des Anscheins bürgerlicher Wohlanständigkeit, die durch die ausgedrückten Kippen als Symptome der Sublimation noch unterstrichen wird. Die Verheissung der noch fernen, aber aufregenden Zukunft wird durch die farbig schimmernden Lichtpunkte, die von Glasfasern erzeugt werden, betont.

Hier – wie in zahlreichen anderen Werken – hat Thomas Behling den Rahmen als Kommentar auf das in ihm befindliche Bild und einfache technische Hilfsmittel wie Hinterleuchtung und Glasfasern als Mittel zur Steigerung der Bildwirkung eingesetzt. Während Letzteres auf die katholische Kunstpolitik zurückgeht, die sich spätmittelalterlichen Wunderglauben und gegenreformatorische Bildpropaganda zu Nutze machte (1), finden sich Bilderrahmen, die die Bildinhalten selbst kommentieren, in der Kunst des Barock, in dem beispielsweise das Rankenwerk des Rahmens mit Attributen ausgestattet wurde, die auf den Stand oder die Profession eines Porträtierten hinwiesen (2); auf diesen Rahmentypus bezieht sich Behling mehrfach durch die Gestaltung der Rahmen zu seiner Bildserie "We Love German Weapons", in der Darstellungen von Panzern aus deutscher Produktion mit üppigen, schwarzen Rahmen eingefasst sind; diese sind ihrerseits zusammengesetzt aus banalen Fundstücken wie Tortenmessern, Pommesgabeln, u.a., die aber durch die ebenfalls eingefügten Totenköpfe die Bedeutung martialischer Trophäendekorationen erhalten.

Dass wie in der Serie der "German Weapons" die Rahmen rein von den Dimensionen her das Bild selbst gar übertreffen, findet sich auch in anderen Werken Behlings: Am prominentesten trifft dies wohl auf "Sehnsucht" II zu, bei dem ein opulenter, mit Lüstern versehener Rahmen einzig die kleinformatige Darstellung, eher Anmutung einer nebelverhangenen landschaftlichen Struktur umfängt. Wenn Behling mit dieser Gestaltung älteren Theorien des Rahmens als einem der Autonomie des Bildes untergeordneten Elementes (3) widerspricht, so tut er dies, weil der massive Rahmen mit seiner schieren Materialität das bewusst Vage, Ungefähre der Darstellung in seiner Mitte noch steigert und das Romantisch-Unerfüllbare des Gefühls der Sehnsucht betont. Dass die deutsche Romantik, deren Vorgehensweise Behling hier und in anderen Arbeiten verschiedentlich zitiert, in ihren Anfängen ästhetisch revolutionär war, im Folgenden aber immer konservativer wurde und ihre Bildfindungen schliesslich bis heute Ästhetik und Lebensgefühl reaktionärer Kreise alimentieren, ist ein weiteres Mal einer der geistvollen Kommentare Behlings zur deutschen Geschichte.
Heinz Stahlhut

 

1) Ein treffendes Beispiel hierfür ist die Schreinmadonna, eine thronende Madonna mit Kind, deren Leib sich öffnen lässt, in welchem dann ein thronender Gottvater mit Kruzifix erscheint. Mit diesem vor allem für die Privatandacht verwendeten Bildtyp liess sich der Glaubensinhalt der Erlösung immer wieder neu veranschaulichen, s. The Art of Devotion in the Late Middle Ages 1300-1500, Ausst.Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, London: Merrell Holberton, 1994, S. 50ff.

2) Als Beispiel ist Amton Graffs Porträt des Generals G. D. Graf von Flemming von 1788 zu nennen, s. hierzu Thomas Sello: Der Rahmen ist das halbe Bild. Bilderrahmen in der Hamburger Kunsthalle, Hamburg: Dölling und Galitz, 1995, S. 18.

3) Hierzu die Diskussion der verschiedenen Theorien zum Bilderrahmen bei Markus Brüderlin:"Der Rahmen will Bild werden. Das Rahmen(Kunst)Werk des 20. Jahrhunderts", in: Bild und Rahmen der Moderne. Van Gogh bis Dali, hrsg. von Klaus Albrecht Schröder, Ausst.Kat. Bank Austria Kunstforum, Wien 1995, S. 17-30.

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